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Wie die Klimakatastrophe mit der Deckungsbeitragsrechnung zusammenhängt

Autorenbild: Andreas LercheAndreas Lerche

Aktualisiert: 22. Nov. 2021

– oder warum eine nachhaltige, regenerative Wirtschaft erst Wirklichkeit wird, wenn wir in unseren Unternehmen anders rechnen


Durch Nutzung fossiler Brennstoffe, Abholzung von Wäldern und Viehzucht beeinflusst Unternehmen zunehmend das Klima und die Temperatur auf der Erde. Es erhöht sich die Menge der in der Atmosphäre natürlich vorkommenden Treibhausgase, was den Treibhauseffekt und die Erderwärmung verstärkt. Wir konsumieren Produkte, deren Kunststoffverpackung oft wenige Minuten nach dem Kauf im Müll landen. Die Herstellung, Verwendung und Entsorgung von Kunststoffen haben enorme Auswirkungen auf marine wie kontinentale Ökosysteme und auf die menschliche Gesundheit. Die Plastikschwemme trägt ihrerseits erheblich zur Emission von Treibhausgasen frei. Menschen in anderen Teilen der Welt leiden und sterben unter und an den Folgenden von Müll und Klimakatastrophe. Das alles dürfte inzwischen für die meisten von uns als gesichertes Wissen gelten.


Gleichzeit erwirtschaften die Unternehmen, die maßgeblich an Treibhausgasemission und Müllschwemme beteiligt sind Milliardengewinne und gelte damit vor allem als eines: erfolgreich. Was läuft da eigentlich falsch? Meine Hypothese lautet: in der Art und Weise, wie wir uns in unseren Unternehmen unsere wirtschaftliche Welt rechneririsch erschaffen, liegt eine der großen Ursachen für die fatalen Fehlentwicklungen unserer Zeit. Warum das so ist, möchte ich nachfolgend anhand von zwei großen Schwierigkeiten in unserer Unternehmensrechnung erläutern. Zum Schluss kannst Du lesen, wie es auch anders geht.


Schwierigkeit Nummer 1: In Anspruch genommene Leistungen tauchen nicht in der Ergebnisrechnung unserer Unternehmen auf


Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts erste Konzepte zur Struktur und Aufbau der Kosten- und Deckungsbeitragsrechnung entstanden, waren Wasser, saubere Luft und menschliche Arbeitskraft noch in Hülle und Fülle vorhanden und hatten daher auch keinen wirklichen Preis. Vermutlich aus diesem Grund findet man in wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern die Unterscheidung zwischen sogenannten freien und wirtschaftlichen Gütern. Letztere seien knapp (und hätten daher einen Preis). Erstere seien in Hülle und Fülle vorhanden und hätten daher keinen Preis. Als Beispiele für freie Güter werden oft Luft, Wasser (!) oder Meeressand angeführt. Problematisch ist, dass das Konstrukt der freien Güter nicht der Wirklichkeit unserer Tage entspricht. Jedes Produktionsmittel, das einem wie auch immer gearteten Produktionsprozess zugeführt wird, hat seinen Preis. Die Schwierigkeit, dass Rohstoffe schlichtweg zu niedrige oder keine Preise haben, zeigt sich genauso in unseren Tagen – bspw. bei Kobalt, das für Auto- oder Smartphone Akkus verwendet wird. Es ist nicht so, dass den eigentlich notwendigen höheren Preis niemand zahlt. Wenn ein Preis nicht vorhanden oder zu niedrig ist, dann wird dieser Preis in der Regel auf einem von zwei Wegen doch entrichtet:


  • Unmittelbar von Menschen, die unter schlimmsten Umständen arbeiten müssen und dafür kaum oder nahezu gar nicht entlohnt werden, unter schlechten Lebensumständen und Hunger leiden und alles in allem eine niedrige Lebenserwartung haben.

  • Mittelbar von Menschen die im globalen Süden von Umweltkatastrophen in Folge von Umweltverschmutzungen, Erderwärmung betroffen sind.


In beiden Fällen bezahlen also Menschen für die sogenannten freien Güter – sehr oft mit einem kürzeren, schmerzvollen Leben. Preise können (aber müssen nicht) in Geldeinheiten ausgedrückt werden.

Ein zweites Konstrukt beschreiben die sogenannten Externalitäten. Das sind Auswirkungen von wirtschaftlichem Handeln, für die niemand bezahlt oder einen Ausgleich erhält. Ich bezeichne Externalitäten lieber als WKPs: Will-Keiner-Produkte. Das sind Produkte, die als Nebenleistungen des wirtschaftlichen Handels entstehen, die aber keiner braucht. Diese WKPs entstehen zum einen auf der Stufe der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. Wenn ich an einem heißen Sommertag in einem schicken Hochhaus im Frankfurter Bankenviertel mein Büro auf 20 Grad Celsius kühle, weil ich mich sonst nicht konzentrieren kann, dann erzeuge ich (neben der eigentlichen Dienstleistung, die ich erbringen) eben auch CO2 – ohne dass dafür irgendjemand einen Preis zahlt. Entsprechend gibt es natürlich auch WKPs auf der Stufe des privaten Konsums. Ich konsumiere Mobilität durch den Gebrauch eines PKWs und erzeuge/produziere CO2. Für die Entsorgung des WKPs CO2 bezahlt am Ende unmittelbar erstmal niemand. Das WKP schlechthin ist der Verpackungsmüll: Kaufe ich mir im Biomarkt einige Oliven in Kunststoffverpackung, dann will ich die Verpackung nach erfolgtem Konsum in der Regel nicht weiter aufbewahren und entsorge sie. Der Preis für die Entsorgung ist lächerlich gering oder nahezu nicht vorhanden.

Das bisher gesagte sei nachfolgend zusammengefasst:


  1. Es gibt keine freien Güter mehr – absolut jedes Produktionsmittel (Arbeit, Luft, Boden, Rohstoffe) hat in unserer heutigen Welt einen Preis.

  2. Den Preis für den massiven Verbrauch von sogenannten freien Gütern durch unsere westliche Industriewelt zahlen mittelbar und unmittelbare zum einen die schwächeren Menschen in unseren westlichen Ländern zum anderen die Menschen in den fragileren Klimazonen in Afrika, Asien und in Süd-/Mittelamerika.

  3. WKPs entstehen im Prozess des wirtschaftlichen Handelns (Produktion und Konsum) und haben ebenfalls einen Preis, der in der Regel dem Preis für die Leistung der Entsorgung entspricht. Auch dieser Preis wird in der Regel nicht bezahlt, weder von Unternehmen noch von privaten Konsument*innen.

  4. Da Unternehmen keinen oder nur geringe Preis für WKPs und freie Güter bezahlen, fallen die Gewinne der Unternehmen zu hoch aus. Gewinne werden zudem zu früh/ zu schnell privatisiert. Die Preise für den Verbrauch von freien Gütern und WKPs bezahlen, zeitlich oft deutlich später, andere bzw. die Allgemeinheit.[1]

  5. Preise für freie Güter und WKPs muss vermutlich der Staat festsetzten. Gewinnorientierte Unternehmen, welche mit der Deckungsbeitragsrechnung ihren Erfolg messen, haben höchstwahrscheinlich kaum einen Anreiz, die Preise für WKPs und freie Güter zu bezahlen.[2]



Schwierigkeit Nummer 2: die Deckungsbeitragsrechnung zerlegt Organisationen in lebensfremd konstruierte Kostenpositionen und Quartalsgewinne


Die ideengeschichtliche Wurzel der Deckungsbeitragsrechnung (DBR), wie wir sie kennen, liegen im späten 19. Jahrhundert: 1899 veröffentliche Egon Schmalenbach (der „Vater der Wirtschaftsprüfer“, wie das Manager Magazin dereinst titelte) im 15. Jahrgang der Deutschen Metallindustriezeitung sein Aufsatz zu „Buchführung und Kalkulation im Fabrikgeschäft“. Eine in der Öffentlichkeit heute wenig bekannte Schrift, den manchen Wirtschaftswissenschaftler als „Meilenstein auf dem Weg zur Deckungsbeitragsrechnung“ bezeichnen (Schweitzer & Wagner, 1999, S. 59).


Die Welt war damals recht klar strukturiert: Ein Unternehmer hat eine Idee, er gründet ein Unternehmen. Dafür muss er zunächst eine Summe aus seinem Vermögen auszahlen. Diese Summe bildet dann das Kapital für das Unternehmen. Wenn sich das Wagnis gelohnt hat, macht das Unternehmen einen Gewinn, der ihm als Eigentümer zusteht. Der Gewinn stellt die Verzinsung auf das eingesetzte Kapital dar. Die DBR bildet das für diese Sicht passende Rechenwerk an. Im Fokus steht einzig der Gewinn, der sich aus Umsatz abzüglich aller Kostenarten ergibt. Der Unternehmer hat so jederzeit im Blick, ob sich sein eingesetztes Kapital auch wunschgemäß verzinst. Alles was den Gewinn reduziert steht zumindest im Verdacht schlecht zu sein, denn Kosten fressen den Gewinn auf. Schmalenbach spricht daher auch ehrlicherweise von „Unkosten“, die er in die Kategorien „primär“ und „sekundär“ unterscheidet. Natürlich reduzieren auch „Kosten für Personal“ den Gewinn. Die DBR zerlegt damit die gesamte Wertschöpfung in künstliche Kostenpositionen. Damit erscheint es auch nur sinnvoll, dass alles was zwar in die Wertschöpfung einfließt, aber aus irgendwelchen Gründen keinen Preis hat, dankend ignoriert wird (freie Güter und WKPs). Die DBR lenkt durch ihren wirklichkeitsfernen Aufbau den Blick weg von der überlebensnotwendigen Abbildung von wirklichen Leistungsströmen innerhalb und außerhalb der Organisation. Es lässt sich auch noch krasser sagen: die Deckungsbeitragsrechnung fördert das Weggucken und Ignorieren. Kein Unternehmen der Welt wird je freiwillig eine gerechtfertigte Rückstellung und damit Aufwendungen für Umweltzerstörung und Vermüllung einbuchen, denn darum geht es nicht.[3] Die DBR lenkt den Fokus zielsicher auf das was unterm Strich zu zählen scheint - den Gewinn.


Ein Rechenwerk, das die wirklichen Leistungsströme in den Blick nimmt: die unternehmerische Erfolgsrechnung mit der Wertbildungsrechnung.


Kolleginnen und Kollegen bilden Wert. Sie erschaffen Wert durch gemeinsame Leistung. Dieser Wert wird durch die Wertschätzung der Kundinnen in Umsatz goutiert. Am Ende ist die Wertbildung in einem Unternehmen eine gemeinsame Leistungsanstrengung von vielen Menschen. Wenn der Umsatz größer ist als die Summe aller bezahlten Preise für die Leistungen (Einkommen der Mitarbeiter*innen in allen Abteilungen, Fremdleistungen, Vorleistungen) dann entschuldet sich ein Unternehmen. Die Entschuldung bildet damit das Pendant zum Gewinnbegriff in der Deckungsbeitragsrechnung (DBR). Entschuldung ist notwendig, aber nie Selbstzweck. Die Wertbildungsrechnung (WBR) bildet damit den organischen, sozialen Prozess der Wertbildung und der Wertschöpfung ab. Der Fokus liegt auf der wirklichkeitsnahen und ganzheitlichen Abbildung der tatsächlichen Leistungsströme und nicht auf der künstlichen, wirklichkeitsfernen Zerstückelung der Leistung in Kostenpositionen und Gewinn.


Wertbildung in einem Unternehmen ist nur möglich, weil das Unternehmen in dieser Welt existiert, deren Rohstoffe es umwandelt und verarbeitet, und zwar auch solche, für die es aus irgendwelchen Gründen noch keinen Preis gibt. Auch Steuern bekommen in der Sicht der WBR eine andere Bedeutung: Sie stellen eine Form der Fremdleistung dar, denn nur durch die Einbettung in ein sicheres Rechtssystem, durch Infrastruktur, usw. ist es dem Unternehmen überhaupt möglich verkaufbare Produkte oder Dienstleistungen herzustellen. In der Logik der WBR wird Steuervermeidung damit nicht mehr erstrebenswert.


Demzufolge stellt die WBR den idealen Rechenrahmen dar, um tatsächlich anfallenden Preise für freie Güter und die Preise für die Entsorgung von WKPs in das Rechenwerk zu integrieren. Es geht in der Wertbildungsrechnung nun mal primär um die Abbildung der wirklichen Leistungsströme. Die Preise für WKPs (bspw. Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen) ist typischer Weise negativ, da keiner diese Produkte haben will. Im Gegenteil: deren Entsorgung ist eine Leistung, die wiederum einen Preis hat. Die sogenannten freien Güter, für die keine oder nur geringe Preise gezahlt werden, könnten dann als Fremdleistung in die Wertbildungsrechnung integriert. Damit sinkt zwar die Entschuldungsquote der einzelnen Unternehmung, aber die Preise werden dort bezahlt, wo die Leistungen in Anspruch genommen werden und nicht Jahre später in einem anderen Teil der Erde.


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass regeneratives, klimaneutrales Wirtschaften in unseren Unternehmen erst Wirklichkeit wird, wenn wir lernen anders zu rechen. Statt der starren, hierarchischen, eigentümergetriebenen und gewinnorientierten Deckungsbeitragsrechnungs-Sicht bieten die Wertbildungsrechnung einen ganzheitlichen Blick auf den Leistungserstellungsprozess von Unternehmen. Im krassen Gegensatz zur üblichen Deckungsbeitragslogik wird der Fokus damit auch nach außen gelenkt: auf in Anspruch genommenen, aber bisher unterbezahlten Leistungen und auf Produkte, die wir zwar erzeugen, die aber keiner brauchen kann. Neben der Erweiterung des Horizontes durch die Anwendung der Wertbildungsrechnung wird es vermutlich dennoch notwendig sein, bisher freie Güter und WKPs per Gesetz zu bepreisen, denn noch rechnen die allermeisten Unternehmen ja mit der Deckungsbeitragsrechnung.


 

[1] Ein ähnliches Phänomen ist in den Sozialwissenschaften durchaus bekannt und nennt sich das sogenannte „Allmendeproblem“ vgl. hier zu Hardin (1968). [2] Auch diese Idee ist nicht neu, jedoch höchst unpopulär und wenig bekannt– siehe hierzu die Ideen von Charles Pigou (1877-1959) zur sogenannten Pigou-Steuer. Die Pigou-Steuer stellt im Grunde einen Preis auf das Recht auf Umweltverschmutzung dar (Mankiw/Taylor, 2008, S. 242). Die Idee des CO2 Zertifikatehandels setzt im Gegensatz zur Pigou Steuer an der Menge an. Der Preis ist jedoch virtuell und entspricht in keinster Weise dem Preis für die Beseitigung der Schäden. [3] Im Übrigen sind bspw. Umweltschutzrückstellungen im externen Rechnungswesen nur unter engen Voraussetzungen möglich, vergl. bspw. BFH Urteil v. 6.2.2013, I R 8/12, BStBl 2013 II S. 686.

 

Literaturhinweise und Lese-Empfehlungen


Mankiw, N. G, & Taylor M.P (2008). Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 2008.


Hardin, G. (1968). The Tragedy of the Commons. Science. Vol. 162, S. 1243-1248.


Schweitzer, M., & Wagener, K. (1999). Geschichte des Rechnungswesens. In Michael Lingenfelder (Hrsg.):100 Jahre Betriebswirtschaftslehre in Deutschland (S. 55-77). München: Verlag Franz Vahlen.

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